Interview mit Pfarrerin Karoline Rumpler und Nikolaus Faiman (Lebensfeste.at) über ein vielschichtiges Projekt in Wiener Neustadt
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, in Wiener Neustadt dieses Projekt zu starten?
Karoline Rumpler: Das ist unter anderem entstanden aus Erfahrungen mit Beerdigungen und Gesprächen mit Mitarbeitenden der Bestattung Wiener Neustadt, die einfach erzählt haben, dass sich die Bestattungs- und Beerdigungskultur massiv verändert. Während Covid war ja vieles verboten und das hat sich interessanterweise danach festgehalten: Dass alles ganz klein, schnell und ja nicht zu viel sein soll und oft ist nur der kleinste Familienkreis da und es wird quasi die Urne schnell in die Wand gestellt ohne viel Begleitung sei es jetzt durch Trauer Redner(innen) oder Pfarrer(innen). Ein zweiter Gedanke war, dass die Beerdigungen einfach massiv viel Geld kosten und viele Familien einfach kein Geld dafür haben und deswegen Begräbnisse so klein gehalten werden. Wir haben uns gefragt, wie wir damit umgehen sollen.
Nikolaus Faiman: Eine zweite Schiene war „Weihnachten ohne Dich“. Wenn man um einen geliebten Menschen trauert, ist Weihnachten oft eine besonders herausfordernde Zeit. Deswegen werden in vielen Pfarren und Gemeinden zunehmend Gottesdienste für und mit allen Menschen, die dieses Weihnachtsfest ohne einen geliebten Menschen verbringen müssen, gefeiert. Seit fünf Jahren bieten wir das auch in Wiener Neustadt an und haben die Resonanz bekommen, wie wohltuend es ist, wenn man in einem geschützten Rahmen rituell begleitet wird. Aber so, dass jeder das für sich herausholen kann, was er oder sie möchte, was gerade passt damit es wohltuend ist. Viele fühlen sich dann doch aufgehoben und merken, dass es anderen auch so geht.
Warum so ein Projekt an verschiedenen Orten in Wiener Neustadt? Was ist Eure Intention, mit welcher Botschaft wollt Ihr die Menschen ansprechen?
Nikolaus Faiman: Sterben, Tod und Trauer ist ja immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema, mit dem man sich nicht auseinandersetzen will. Aber wenn man dann betroffen ist, weiß man nicht, was man tun soll. Mit diesem Projekt möchten wir mit verschiedenen Veranstaltungen die Möglichkeit bieten, sich mehr oder weniger unverbindlich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, wenn es noch nicht akut ist, und zeigen, welche hilfreichen Möglichkeiten es gibt, wenn man einmal davon persönlich betroffen ist.
Karoline Rumpler: Ja, definitiv wollen wir das Thema aus der Tabuzone herausholen. Der Tod gehört zum Leben, das ist nun einmal so, es kommt keiner aus. Aber mit diesem „Gesundheitshype“ versuchen wir das ein bisschen auszublenden, was insbesondere in den Social Media sichtbar wird: so viele Influencer(innen), die immer nur das Heile und das Schöne usw. darstellen. Ich will damit Social Media nicht verurteilen, es gibt auch Gegentrends, Gott sei Dank. Das Leben ist nicht nur heil und schön, sondern wir sind eben auch mit Trauer oder Schmerz, Tod und Leere konfrontiert. Und diese Gefühle, die sich da entwickeln, einfach zu verleugnen und schnell, schnell weiterzumachen so wie es vorher war, macht es, glaube ich, total schwierig. Das Projekt soll zumindest Gedankenanstöße geben, wie man sich diesem Thema annähern kann, auch auf humorvolle Art und Weise, was ja gerade auch die Wiener Bestattungskultur und der „Wiener Schmäh“ transportieren. Ich glaube, es ist wichtig und hilfreich, sich damit auseinanderzusetzen und auch unterschiedliche Perspektiven zu öffnen.
Nikolaus Faiman: Eine große Motivation ist auch das Gemeinsame zu stärken oder zu suchen. Mit „Weihnachten ohne Dich“ wechseln wir ganz bewusst jedes Jahr die Location, um das Thema in verschiedenen Kontexten zu verbreiten. Wir wollen nun auch mit dem Projekt „bittersüß“ den Schritt aus den jeweiligen Institutionen, Glaubensgemeinschaften, Einrichtungen usw. hinaus gehen, um wirklich Wiener Neustadt als Stadt, als Lebensraum mit diesen Themen zu bespielen. „Wiener Neustadt, die Stadt fürs Leben“ heißt es im Stadtentwicklungsplan. Und wie Karoline gerade gesagt hat, auch Sterben gehört zum Leben, es geht um ein gutes Leben bis zuletzt. Ich denke, da treffen wir uns mit der Motivation der Politik, die sich ja ebenfalls darum bemüht. Die Vision ist, á la longue die Angebote in der Stadt wirklich überkonfessionell und interkulturell zu gestalten. Es gibt verschiedene Kulturen rund um Tod, Abschied, Trauer, Beerdigung usw. und vielleicht entwickelt sich auch ein besseres Verständnis füreinander.
Karoline Rumpler: Ergänzend dazu: Ich höre oft: Das mache ich mir mit mir selbst aus, ich brauche niemand. Das ist das Recht eines jeden und einer jeden sich das mit sich selbst auszumachen. Aber ich glaube trotzdem, dass es gut tut zu wissen, dass es anderen auch so geht und zumindest auch theoretisch zu wissen, wo es Anknüpfungspunkte gibt, wenn ich doch etwas brauchen wollen würde. Die kollektive Erfahrung des Trauerns, die es ja gibt in unserer Kultur und Gesellschaft, wieder ein bisschen in den Mittelpunkt zu rücken: Ich bin, wenn ich will, nicht allein. Da gibt es Menschen, die dieselbe Erfahrung machen, vielleicht anders gefärbt, aber es gibt diese Erfahrungen. Ich kann da anknüpfen und jemand(en) fragen: Wie geht es Dir damit, Du hast ja ähnliches erlebt? Unser Projekt ist schon dazu da, Gesprächsräume zu eröffnen, Menschen die Möglichkeit zu geben in Kontakt miteinander zu treten. Als Angebot ohne es zu müssen.
Welche Menschen wünscht Ihr Euch als Teilnehmer(innen) am Projekt „bittersüß“?
Karoline Rumpler: Alle am Thema Interessierten, akut Betroffene und möglicherweise irgendwann Betroffene – also alle. Eigentlich sind alle Menschen aus Wiener Neustadt und Umgebung eingeladen, weil wir einfach glauben, dass das gesellschaftlich ein zentrales Thema ist.
Nikolaus Faiman: Und wenn man es auf die Lebensalter bezieht, dann geht es über die ganze Lebensspanne: Für Kinder und Eltern gibt es beispielsweise das Kindertheater „Schwarz ist eine Art von bunt – Ein Stück über das Trauern, den Tod und das Leben“, bei dem das Thema unaufgeregt aber mit sehr viel Hintergrundwissen kindgerecht aufbereitet wird. Es gibt Angebote für pflegende Angehörige oder Menschen, die akut von Trauer betroffen sind, oder sich einfach grundsätzlich mit diesen Themen auseinandersetzen wollen. Von den Formaten her gibt es an verschiedensten Locations in Wiener Neustadt beispielsweise Theater, Kabarett, Filmvorführungen, Kurzseminare, Gesprächsräume und konkrete Angebote zum Mitmachen wie „Weihnachten ohne Dich“, „Heilsames Singen“, „World Wide Candle-Lightning“ oder den „TrauerRaum“ in der Friedhofskapelle.
Karoline Rumpler: Wir freuen uns, dass das Projekt in einer breiten Kooperation von Bildungszentrum St. Bernard, Caritas Mobiles Hospiz, Evangelische Pfarrgemeinde Wiener Neustadt, LebensFeste.at, Stiftspfarre Neukloster und Friedhofsverwaltung der Stadt Wiener Neustadt getragen wird und vielseitig von der Stadt Wiener Neustadt und Sponsoren unterstützt wird.
Das Gespräch führte Peter Maurer.
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